Nicht nur zur Weihnachtszeit Kann man als Verbraucher die Welt in Ordnung bringen?

Gesellschaft

Ob Klimawandel, Kinderarbeit in Entwicklungsländern oder miese Lebensmittel: Als Verursacher aller Miseren der modernen Welt wird sehr schnell „der Mensch“ mit seiner „Geiz-ist-geil-Mentalität“ zitiert.

Kann man als Verbraucher die Welt in Ordnung bringen?
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Kann man als Verbraucher die Welt in Ordnung bringen? Foto: Soon (CC-BY-SA 2.0 cropped)

2. Januar 2024
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Dagegen stellt man den bewussten, ökologisch und fair kaufenden Konsumenten. Die schöne Vorstellung: Wenn sich alle Verbraucher für Waren entscheiden würden, die unter ökologisch und ethisch einwandfreien Umständen hergestellt wurden, wären die Unternehmen im eigenen Interesse gezwungen, nach diesen Massstäben zu wirtschaften. Heisst es. Nehmen wir uns diesen sagenhaften Konsumenten und seine fantastischen Möglichkeiten doch einmal genauer unter die Lupe.

Eine fertige funktionierende Marktwirtschaft ...

Nicht unbedeutend ist erst einmal, womit es der Verbraucher zu tun kriegt, wenn er die Bühne des Geschehens betritt. Es ist nämlich eine ganze fertige Welt des Produzierens, Verkaufens und Gewinnemachens, auf die er trifft, wenn er mit seinen Wünschen, Kaufentscheidungen und seinem „Konsum“ anfängt.

In der setzen kapitalistische Unternehmen jedes Mittel ein, das ihre Kosten senkt und ihren Gewinn steigert. Für diesen Zweck produzieren sie bekanntlich, und nicht, um der Menschheit einen flotten oder auch moralisch einwandfreien Konsum zu ermöglichen.

Seit „die Globalisierung“ vollendet wurde, können sie das ohne grosse Probleme weltweit. Sie mobilisieren jeden Fitzel an billiger Arbeitskraft, interessanten Naturressourcen und möglichen Absatzmärkten, um sich den grösstmöglichen Anteil an der global vorhandenen Kaufkraft zu sichern. In dieser Welt und ihren Rechnungen lohnt es sich beispielsweise, Waren mit einem immensen Energieaufwand und Schadstoffausstoss um den halben Globus zu schicken, um die billigsten Löhne auszunutzen oder die letzte Zahlungsfähigkeit abzugrasen. Nordseekrabben werden zum Pulen nach Marokko verfrachtet und zum Verkauf wieder zurück; deutsche Kartoffeln werden zum Waschen nach Polen gefahren oder Schweine aus Nordrhein-Westfalen in Italien zu Parma-Schinken verarbeitet und nach erneuter Alpenüberquerung in Deutschland ins Kühlregal gebracht.

Aktionen dieser Art rufen vielleicht ein Kopfschütteln hervor, sind tatsächlich aber an der Tagesordnung, weil eben ökonomisch unter den herrschenden Bedingungen total sinn-voll, sprich: gewinnträchtig.

Und die Staaten, die diese marktwirtschaftliche Produktionsweise einrichten und beaufsichtigen, verhindern diesen logistischen Wahnsinn, den man jeder Planwirtschaft als Totalversagen vorgehalten hätte, nicht nur nicht. Ganz im Gegenteil: Als Betreuer ihres Standorts, der unbedingt konkurrenzfähig sein soll, helfen sie den Rechnungen ihrer quirligen Unternehmer praktisch erst auf die Welt, indem sie die nötigen Autobahnen und Flughäfen bauen sowie Glasfaserkabel verlegen, damit genügend im www gehandelt werden kann. Noch dazu setzen sie einen „flexiblen Arbeitsmarkt“ durch, der Millionen Arbeitskräfte mobil macht, die zusätzlich zu den Warentransportern die Umwelt durch Abgase verpesten etc.

...elegant von ihrer Irrationalität befreien

Diese ganz und gar nach den Gesetzen der kapitalistischen Rationalität eingerichtete Produk- tionsweise soll nun unser Verbraucher durch seine „bewussten“ Kaufentscheidungen ins Lot bringen.

Allerdings gefälligst, ohne das kapitalistische Gewinninteresse selbst anzutasten. Denn das wäre ja verboten. Oder Sozialismus. Geht also jedenfalls nicht. Den Geschäftemachern in ihr ökonomisches Handwerk hineinzupfuschen, welches die beklagten Schäden überhaupt erst verursacht, ist von vornherein komplett ausgeschlossen, wenn man „als Konsument“ die Welt retten soll.

Statt dessen sollen die beklagten Missstände sozusagen systemimmanent beseitigt werden: Dadurch, dass die Masse der Verbraucher mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss auf die Produktion nimmt, soll ganz elegant und ohne, dass überhaupt ein richtiger Gegensatz zu den bis dato herrschenden Kalkulationen aufgemacht werden muss, alles auf den richtigen Pfad gelenkt werden.

Diese Idee beinhaltet allerdings zunächst einmal, dass man sich das Funktionieren der Marktwirtschaft ein wenig umdeutet.

Weil das Gewinninteresse der Unternehmen davon abhängt, dass die Waren letztlich vom „Endverbraucher“ gezahlt werden, wird den Käufern rückwärts die Verantwortung für „Fehlentwicklungen“ in die Schuhe geschoben – so als hätten sie beim Warensortiment und der Einrichtung der ebenso lohndrückerischen wie umweltschädlichen Produktion mitgeredet, die Handelswege ausgesucht, usw usf.

Und wenn unser Konsument dann die Euros im Portemonnaie mal wieder umdreht, wie es so seine Art ist, will man an ihm partout nicht bemerken, dass er als Lohnempfänger mit seiner Geiz-ist-geil-Mentalität selbst ja bloss Bestandteil und Produkt dieser Rechnungen ist.

Statt dessen kriegt er gleich den nächsten Vorwurf zu hören: Dass es nur an seinem Verlangen nach „billiger Ware“ liegt, dass nicht nur die Waren- sondern überhaupt die ganze Welt so ausschaut, wie sie ausschaut. Kartoffeln vom Nil, Kirschen aus der Türkei, grüner Spargel aus Peru – all das gibt es nur „wegen ihm“!

Der Beweis: Man muss nur registrieren, wo der ganze Mist letztendlich landet. Weil er kauft, was ihm angeboten wird und dabei nach guter marktwirtschaftlicher Manier auf den Preis achtet, ist er nicht nur schuld daran, dass die deutschen Bauern keine Streuobstwiesen mehr pflanzen, sondern trägt auch Verantwortung für die Zunahme von Kinderarbeit oder dafür, wie die christliche Seefahrt heute den weltweiten Handel mit ihren Containerschiffen managt – ganz nach dem Motto: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Die „Macht“, die man sich so fingiert hat, soll unser Verbraucher nun dazu gebrauchen, die Unternehmer zur Produktion weniger schädlicher Waren zu zwingen.

Tatsächlich ist es auch hier eher umgekehrt. Denn er ist ja abhängig davon, in jeder Lebenslage mit dem kapitalistischen Warenangebot zurechtkommen zu müssen, auf das er als Resultat der verschiedenen Gewinnkalkulationen trifft. Aus dieser Abhängigkeit wird nun aber in der Vorstellung ein Druckmittel, das der Konsument vermeintlich gegen die Eigentümer dieser Waren hat.

Zwar hat er keineswegs die Freiheit, aufs Einkaufen überhaupt zu verzichten – das wissen auch diejenigen, die gar nicht genug von seiner Verantwortung reden können. Aber immerhin kann er ja „bewusst“ kaufen: Sich informieren, umweltschonende Produkte herausfinden und auftreiben, eine missratene Firma abstrafen usw usf. Wenn unser Konsument das ernst nähme, wäre das erstens ein ziemlich tagesfüllender Job. Und zweitens einer, bei dem er den lustigen Einfällen der Unternehmen, wie die ihren Profit noch ein bisschen steigern können mit ein paar neuen Hormonen, Gentechnik, Pestiziden, billigeren Produktionsstandorten, giftigen Ersatzstoffen etc. stets hinterherhinken würde.

Gleichzeitig könnte er seiner Aufgabe natürlich nur dadurch nachkommen, dass er die Kassen eines anderen, natürlich ebenso auf Gewinn ausgerichteten Unternehmens füllt. Eines Unternehmens, das irgendwie nicht ganz so schlimm ist – oder zumindest so tut, dessen Produkte gesund aussehen, möglichst sogar ein Bio- oder Fair-trade-Siegel aufweisen… Auch wenn keineswegs davon geredet werden kann, dass überhaupt Produkte auf dem Markt sind, die den geforderten Massstäben auch nur annähernd gerecht werden, hilft die Logik des Vergleichs also dabei, sich die Sache einigermassen schönzureden.

Und natürlich ist auch dieser Treppenwitz der Geschichte nicht ganz unwichtig: In der Idee der Konsumentenverantwortung verhalten sich notwendigerweise die Besitzer der grösseren Geldeinkommen „vernünftiger“ und „ethisch korrekter“ – schlicht weil sie mehr finanzielle Freiheit haben, die höchste Energieeffizienzklasse zu nutzen, mal eben auf ein E-Auto umzusteigen oder eine neue Heizung mit alternativer Energie anzuschaffen. Die Moral von der Geschichte:

„Wir alle“ haben „die Verantwortung“

Summa summarum handelt es sich um eine wirklich schöne Idee. Zwar ist sie nicht sonderlich logisch. Beim Durchdenken zeigt sich ja schnell, dass nicht die Rede davon sein kann, dass „wir“ in unserer Rolle als Verbraucher auch nur annähernd über Möglichkeiten der Einflussnahme verfügen. Und das setzt die Vorstellung von „Verantwortung“ ja schon irgendwie voraus.

Insofern geht es auch nicht um ein irgendwie praktisch gemeintes Mittel, mit dem man die an allen Ecken und Enden festgestellten Schäden, die die Marktwirtschaft „so mit sich bringt“, in den Griff kriegt.

Aber dafür taugt die Idee umso mehr dazu, die moralische Verantwortung für immer wieder aufkommende Vorwürfe gegen allerhand unschöne Konsequenzen dieser Produktionsweise „uns allen“ anzulasten. Denn kaufen und auf diese Art und Weise von ihr leben – das tut eben wirklich jeder.

Insofern sind „wir“ eben alle Sünder, die sich an die eigene Brust klopfen müssen. Und ein Leben lang danach streben können und müssen, besser zu werden bzw. bewusster einzukaufen. Aber darin natürlich auch irgendwie gute Menschen. Eine moderne Religion, ganz ohne Kirche und Papst…

Renate Dillmann